🎙 Fahrermangel 2.0 – Warum das Problem tiefer sitzt als gedacht
Kaum ein Thema bewegt die Logistikbranche so dauerhaft wie der Fahrermangel – und trotzdem scheint sich wenig zu verbessern. In dieser Folge werfen Tobias und Andreas einen frischen Blick auf die Lage: Warum Geld allein nicht reicht, was wirklich fehlt und warum auch smarte Kampagnen oft ins Leere laufen. Zwischen Parkplatznot, fehlender Wertschätzung und Systemfragen wird schnell klar: Die Herausforderung ist größer als gedacht – aber auch lösbar, wenn man bereit ist, wirklich etwas zu verändern.
🔍 Highlights & Learnings:
- 🚚 80.000 fehlende Fahrer – Tendenz steigend: Branchenverbände schlagen Alarm – und der Engpass wird bei wirtschaftlicher Erholung noch kritischer.
- 💸 Mehr Gehalt, weniger Bewerber: Warum höhere Löhne nicht das Kernproblem lösen – und was stattdessen fehlt.
- 🛑 Unwürdige Rahmenbedingungen: Raststätten, Pausensituationen und Infrastruktur treiben Fahrer in prekäre Situationen.
- 🏗 Logistikbranche investiert, aber punktuell: Führerscheinkampagnen, Prämien, bessere Tourenplanung – doch der große Durchbruch bleibt aus.
- 🧭 Zukunftsperspektive statt Abarbeitung: Der Fahrerjob braucht nicht nur mehr Respekt, sondern echte Entwicklungsmöglichkeiten und Struktur.
🎧 Warum du reinhören solltest:
Diese Episode ist ein Pflichttermin für alle, die Logistik nicht nur verwalten, sondern gestalten wollen. Was passiert, wenn der Fahrer wirklich zum Engpass wird? Und was müsste sich im System ändern, damit der Beruf wieder Zukunft hat?
👉 Jetzt reinhören, mitdiskutieren – und eigene Denkblockaden challengen.
Fahrermangel 2.0: Warum das Problem tiefer sitzt als gedacht
Der Fahrermangel ist kein neues Phänomen – und dennoch ist er präsenter denn je. Während sich die Wirtschaft in Deutschland rund um die Nulllinie bewegt, spitzt sich die Lage auf den Straßen weiter zu. In dieser Episode des Logistikpodcasts gehen Tobias Lindner und Andreas Reuther der Frage nach, warum selbst höhere Löhne nicht ausreichen, um Fahrer zu gewinnen – und was die Branche wirklich tun muss, um den Fahrermangel in den Griff zu bekommen.
Was bedeutet Fahrermangel aktuell – und wie dramatisch ist die Lage?
Laut Angaben des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) sowie des DSLV fehlen in Deutschland aktuell rund 80.000 Berufskraftfahrer – Tendenz steigend. In den nächsten Jahren könnte sich diese Zahl bei anhaltender Entwicklung auf 160.000 verdoppeln. Das hätte massive Auswirkungen auf den Güterverkehr: Transporte würden teurer, Lieferzeiten länger – und im schlimmsten Fall blieben Waren ganz einfach liegen.
Besonders brisant: Der Mangel wird aktuell durch die stagnierende Wirtschaft leicht kaschiert. Sollte die Konjunktur wieder anziehen, droht der latente Engpass zu einem massiven Problem zu werden – mit kaum absehbaren Folgen für Lieferketten und Versorgungssicherheit.
Warum Geld allein keine Fahrer bringt
Ein naheliegender Lösungsansatz gegen den Fahrermangel ist: einfach mehr bezahlen. Doch das greift zu kurz. Denn obwohl die Gehälter in den letzten Jahren um 15–25 % gestiegen sind, gehen die Bewerberzahlen weiter zurück.
Der Grund: Die Rahmenbedingungen für Fahrer sind vielerorts schlicht nicht attraktiv genug. Es geht um mehr als Geld – es geht um Lebensqualität, Perspektive und gesellschaftliche Anerkennung. Viele Fahrer haben keine Lust mehr, unter Druck, mit wenig Pausenmöglichkeiten und mangelhafter Infrastruktur unterwegs zu sein. Der Stress auf überfüllten Raststätten, fehlende Wertschätzung und ständige Verspätungen durch marode Infrastruktur machen den Job für viele schlicht unzumutbar.
Der Alltag auf der Straße: Zwischen Parkplatznot und fehlender Wertschätzung
Ein zentrales Problem: der Alltag der Fahrer. Viele verbringen ihre Pausen auf überfüllten Raststätten – oder müssen sich mangels Alternativen auf Notlösungen wie PKW-Parkplätze oder Ausfahrtsstreifen behelfen. Dabei drohen nicht nur Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern, sondern auch rechtliche Risiken.
Andreas beschreibt es drastisch: Fahrer werden in solchen Situationen „wie Aussätzige“ behandelt. Die fehlende Infrastruktur spiegelt eine tiefere gesellschaftliche Haltung wider: Fahrer werden oft nicht als integraler Teil der Lieferkette wahrgenommen, sondern als notwendiges Übel.
Strukturprobleme in der Branche: Warum die besten Kampagnen oft verpuffen
Dabei bleibt es nicht bei der Infrastruktur. Auch in der Struktur vieler Logistikunternehmen gibt es Herausforderungen. Fernverkehr wird zunehmend unattraktiv – insbesondere für Fahrer mit familiären Verpflichtungen. Der Wunsch nach planbaren Arbeitszeiten und Nahverkehrsjobs ist hoch. Doch diese sind rar – oder ebenfalls hart umkämpft.
Hinzu kommt: Selbst gut gemeinte Kampagnen verpuffen häufig in der Realität. Prämien, Führerscheinaktionen, Recruiting-Videos – all das hilft wenig, wenn der Job selbst nicht attraktiv genug ist. Wer als Fahrer angeworben wird und dann auf überfüllten Straßen ohne echte Perspektive unterwegs ist, wird sich schnell wieder umorientieren.
Besonders betroffen: Stückgutlogistik, Lebensmittellogistik und Fernverkehr
Der Fahrermangel trifft nicht alle gleich. Besonders betroffen sind:
- Lebensmittellogistik: Kurze Mindesthaltbarkeiten erfordern hohe Zuverlässigkeit. Kommen Erdbeeren oder Frischware nicht rechtzeitig an, sind sie unbrauchbar.
- Gefahrguttransporte: Zwar oft technisch besser ausgestattet, aber stark alternde Belegschaften und spezielle Anforderungen.
- Stückgutverkehr: Hier wird der Fahrer schnell zum Postboten für schwere Ware – mit 15 Stops am Tag, engen Zeitfenstern und kaum planbaren Touren. Besonders für ältere Fahrer ist das eine enorme Belastung.
All diese Bereiche sind körperlich anspruchsvoll, unplanbar und oft schlecht ausgestattet. Auch die besten Prämienmodelle helfen hier kaum weiter.
Digitalisierung, KI und Begegnungsverkehre: Hoffnung oder Ablenkung?
Die Branche sucht nach technologischen Lösungen. Automatisierte Tourenplanung, smarte Ruhezeitmodelle, KI-basierte Routenoptimierung – all das soll helfen, den Job effizienter und angenehmer zu machen. Auch Programme wie Begegnungsverkehre oder optimierte Depotstrukturen sind in der Diskussion.
Doch Tobias und Andreas sind sich einig: Diese Maßnahmen können helfen, aber sie lösen nicht das Grundproblem. Denn solange Fahrer regelmäßig in Staus stehen, Umwege wegen maroder Brücken fahren müssen und ihre Pausen zwischen Müllcontainern verbringen, wird sich das Berufsbild kaum erholen.
Gesellschaftlicher Wandel nötig: Fahrer brauchen Perspektive – nicht nur Aufgaben
Am Ende geht es um mehr als Touren oder Geld. Es geht um die Frage, wie unsere Gesellschaft mit Menschen umgeht, die für unsere Versorgung essenziell sind. Fahrer müssen als Fachkräfte wahrgenommen werden – mit entsprechender Ausbildung, Entwicklungsperspektive und Wertschätzung.
Andreas bringt es auf den Punkt: „Wenn ich im Lager arbeiten kann, ohne Stau, ohne Stress – warum sollte ich dann noch fahren?“ Ohne ein klares Selbstverständnis des Berufsbildes, ohne Zukunftsperspektive für Fahrer, wird jede Recruiting-Kampagne zur Symptombekämpfung.
Fazit: Der Fahrermangel ist real – und verlangt echte Veränderungen
Der Fahrermangel ist mehr als ein statistisches Problem. Er ist ein systemisches Risiko für die deutsche Wirtschaft – und ein Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Branche investiert, probiert und testet. Doch ohne echten Wandel in Infrastruktur, Wertschätzung und Rahmenbedingungen wird sich wenig ändern.
Die gute Nachricht: Viele Unternehmen denken bereits um – von Begegnungsverkehren über moderne Sozialräume bis hin zu langfristiger Personalentwicklung. Jetzt braucht es Mut zur Umsetzung und den Willen, den Fahrer nicht nur zu bezahlen – sondern ihn auch ernst zu nehmen.
Nur so kann die Logistikbranche zukunftsfähig bleiben.
Weitere Folge unseres neuen Format „Kurz, knapp & prätise“ findest du hier.